Interview mit Jürg Brunnschweiler (2005)

Vom 20.04.2005

Jürg Brunnschweiler studierte an der Universität Zürich Zoologie, Anthropologie und Biomathematik und arbeitete zur Zeit dieses Interviews an seinem Doktorat auf dem Gebiet der Verhaltensökologie.

Seine Forschungsinteressen gelten dabei der Biologie der Haie allgemein und speziell z. B. gross- und kleinräumige Migrations- und Bewegungsmuster verschiedener Haiarten oder auch die Interaktion Hai – Saugfisch.

Jürg Brunnschweiler

In seinem Interview mit Haiwelt bezieht er Stellung zur Frage nach der Aquarienhaltung der Haie (aktuell mal wieder, wegen des kürzlich in die Freiheit entlassenen Weißen Hais (Carcharodon carcharias), der im Monterey Bay Aquarium gehalten wurde), schildert seine Sicht der momentanen Situation der Haie, beantwortet bereitwillig Fragen zum Thema SharkProject und Dr. Erich Ritter und bemerkt so ganz nebenbei, dass er ein neues Buch in der Mache hat…

Jürg Brunnschweiler über seine aktuelle Forschung

Haiwelt:

Hallo Jürg! Einige Leser kennen Dich eventuell durch Deine Zusammenarbeit mit Dr. Erich Ritter, was schließlich in dem Buch „Über die Körpersprache von Haien“ (Online-Bestellung und Rezension hier) resultierte.

Dr. Ritter ist mit seinem SharkProject in den Medien wie nie zuvor.

Von Jürg Brunnschweiler hört man dagegen wenig.

Also: Woran forschst Du gerade und was sind Deine Projekte?

Jürg Brunnschweiler:

Hallo Gordon! Das ist gut so! Es geht nicht darum, ob mein Name in den Medien ist oder nicht.

Ich bin Wissenschaftler, beschäftige mich mit Haien, und die sollen in den Medien sein!

Dazu trage ich meinen Teil bei.

Ich habe zurzeit ein grosses Projekt im Südpazifik am laufen. Dabei geht es um die Erforschung der grossräumigen Migrationsbewegungen von Bullenhaien. Ich benutze dabei Sender, die mir via Satellit anzeigen, wo der Hai ist resp. wohin er geschwommen ist.

Und das sind ganz schön grosse Distanzen!

Gleichzeitig haben wir vor Fidschi ein Stück Riff mit Hilfe der Regierung und der lokalen Bevölkerung unter Schutz gestellt. An diesem Riff sind zahlreiche Haiarten anzutreffen.

Obwohl dieser Riffabschnitt im Vergleich mit dem tatsächlich genutzten Lebensraum bspw. der Bullenhaie verhältnismässig klein ist, ist das doch als grosser Erfolg zu werten.

Noch in diesem Jahr werden wir auch die kleinräumigen Bewegungsmuster der Haie dieses Riffs näher unter die Lupe nehmen. Falls Du mehr zu diesem Projekt wissen willst geh auf underwater.com.au/article.php/id/2103.

Daneben arbeite ich an vielen kleineren und grösseren Haiprojekten. Das reicht von Vorträgen zu verschiedenen Themen der Haibiologie bis zum Schreiben eines Buchs, das voraussichtlich noch dieses Jahr erhältlich sein wird.

Übrigens, das von Dir angesprochene Buch von Erich Ritter ist nicht das Produkt unserer (vergangenen) Zusammenarbeit. Ich distanziere mich vom grössten Teil des Buchs.

Eine lange Geschichte, die hier aber nicht erwähnenswert ist.

Haiwelt:

Die Hai-Stiftung hat vor kurzem ihren Internet-Auftritt aktualisiert. Sie finanziert u. a. auch Deine Forschungen, wie ich in einer E-Mail von Dir erfahren habe.

Ist die Erforschung der Haie in den letzten Jahren, da ihr Schutz immer mehr ins öffentliche Interesse vordringt, „leichter“ geworden? Findet man leichter Sponsoren und Geldgeber?

Jürg Brunnschweiler:

Es ist tatsächlich so, dass der Schutz der Haie wie auch des Lebensraums Meer immer mehr ins öffentliche Bewusstsein dringt. Die Hai-Stiftung macht seit Jahren darauf aufmerksam und unterstützt entsprechende Forschung auf diesem Gebiet. Solche Stiftungen sind von grossem Wert für die Erforschung der Haie und ihrer Verwandten.

Meine persönliche Erfahrung ist die, dass es tatsächlich leichter ist, Sponsoren für wissenschaftliche Haiprojekte zu finden. Inwieweit das aber mit dem medialen Interesse an Haien zu tun hat, kann ich nicht beurteilen.

Man darf aber nicht vergessen, dass solche Proposals immer in erster Linie nach ihrem wissenschaftlichen Gehalt beurteilt werden. Und für gute Forschung ist immer Geld vorhanden.

Ein Grossteil meiner täglichen Arbeit besteht darin, Geld für Projekte zu organisieren. Das ist ein zeitlich grosser Aufwand, der aber auch Spass machen kann. Schliesslich ist es eine Form der Anerkennung der Arbeit, wenn eine Stiftung ein Projekt als unterstützungswürdig beurteilt.

Jürg Brunnschweiler zu SharkProject und Dr. Erich Ritter

Haiwelt:

In der Hai-Szene zeichnen sich langsam zwei Lager ab. Die einen sind Anhänger von Dr. Erich Ritter und dem SharkProject, die anderen hingegen beäugen seine Forschung äußerst skeptisch und zweifeln an seiner Glaubhaftigkeit.

Nicht zuletzt wurden solche Zweifler bestärkt durch die Debatte zwischen Jeremy Stafford-Deitsch (JSD), Samuel H. Gruber und indirekt Ritter, die vor einiger Zeit im Shark-L Forum entbrannte (das seit kurzem leider gesperrt ist).

Ritter nur indirekt, weil er meines Wissens nach nie im besagten Forum direkt geantwortet hat, sondern seine Erwiderungen (wenn man das so nennen will) nur im SharkProject-Forum [Diskussionen mittlerweile leider ebenfalls offline genommen] veröffentlichte. 

Auch JSD und Gruber zweifelten an den Theorien Ritters.

Was sagt jemand dazu, der jahrelang mit Ritter zusammen gearbeitet hat und auch an einem seiner Bücher mitgewirkt hat?

Ist eine solche „Spaltung der Community“, deren Mitglieder doch eigentlich alle für dasselbe Ziel kämpfen, nicht im höchsten Maße kontraproduktiv?

Jürg Brunnschweiler:

Man muss hier differenzieren. Die Hai-Szene, die Du ansprichst ist höchstens eine lokale, auf die deutschsprachigen Länder beschränkt. Und diese Hai-Szene setzt sich aus Tauchern, Hai-Interessierten und SP-Leuten [SP = SharkProject] zusammen. Ob es da eine Spaltung gibt oder nicht, weiss ich nicht.

Erich Ritter und SP sind mediale Subjekte und als solche stehen sie in der Öffentlichkeit und müssen mit sowohl Kritik als auch Unterstützung umgehen.

Was Erich Ritter betrifft, kann ich das nur als Wissenschaftler, der mit Haien arbeitet, beurteilen. Erich Ritter hat unter Fachkollegen – um es mal vorsichtig zu formulieren – einen sehr umstrittenen Ruf. Das hat nichts mit seiner Forschung zu tun, da diese öffentlich nur marginal bekannt ist.

Zu Hai-Kongressen und Meetings, an denen Forscher ihre Resultate vorstellen und Kontakte geknüpft werden, kommt er seit Jahren nicht mehr. Alles, was Forscherkollegen von ihm sehen, sind seine Auftritte im Fernsehen oder in den Medien allgemein. Und dabei geht es vor allem um Unfälle.

Unfälle mit Haien sind nicht Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Zumindest nicht in dem Sinn, wie Erich Ritter es definiert.

Ich bin der Meinung, dass die Beschäftigung mit diesem medial wirksamen Thema zum Nachteil der Haie ist. Ich glaube, dass „Anatomy of a Shark Bite“ (der Film, in dem Erich Ritter die Bilder seines Unfalls veröffentlichte) vom Effekt her ähnlich wie „Der Weisse Hai“ ist.

Zum Glück haben ihn bislang weniger Menschen gesehen.

Bei all diesen Statements und Veröffentlichungen von Erich Ritter zu Haiunfällen geht es mehr um seine Person und den Menschen generell als um Haie.

Nochmals zurück zu Fachkollegen und Erich Ritter. Er hat die meisten dieser Leute in der einen oder anderen Form beleidigt. Die Diskussion und seine Statements im SP-Forum sind dazu ein Beispiel.

Früher oder später schafft er es mit jedem oder jeder, Streit anzufangen, zieht sich anschliessend zurück und verweigert sachliche Diskussionen.

So ist er, aber das ist allen Leuten, die ich kenne und denen es so ergangen ist, egal.

Und noch was zu Theorien:
Erich Ritter hat keine Theorien.

Das sind Thesen oder Hypothesen.

Niemand hat ein Problem damit, wenn er sagt, Haie beissen Surfer nicht, weil sie sie mit Robben verwechseln. Da ist er auch bei weitem nicht der Einzige.

Die Wissenschaft funktioniert nun mal so, dass Hypothesen mit Experimenten getestet werden. Diese Resultate werden Forschern aus dem entsprechenden Fachgebiet zur Prüfung vorgelegt (peer-reviewing) und falls als gut und wichtig beurteilt, veröffentlicht.

Es steht Erich Ritter frei, seine Forschungsresultate entsprechend aufzubereiten und zur Veröffentlichung in Fachzeitschriften einzureichen oder an Kongressen zu präsentieren.

Dann können sie aus wissenschaftlicher Sicht diskutiert werden und alle von ihm verschmähten Fachkollegen können und werden sich an dieser Diskussion beteiligen.

Jürg Brunnschweiler zu der Frage, ob Haie „Fische“ sind

Haiwelt:

Vom SharkProject bzw. von Dr. Erich Ritter in Person wird immer wieder die Sonderstellung der Haie kundgetan, so z. B. auch in seinem neuen Buch „Mit Haien sprechen“ (Online-Bestellung und Rezension hier).

Er plädiert sogar dafür, dass Haie keine Fische seien und wird dafür immer wieder belächelt.

Was aber ist dran an seinen Ausführungen? „Verdient“ der Hai eine ganz eigene Bezeichnung, die ihn von den Fischen „unabhängig“ macht? Oder alles nur Wortklauberei?

Jürg Brunnschweiler:

Warum sollten Haie eine Sonderstellung im Tierreich haben? Was macht sie „besonderer“ als bspw. Bären oder Bienen?

Wenn sie in seinem Leben eine Sonderstellung haben, ist das gut.

Aber das hat nichts mit Zoologie zu tun.

Selbstverständlich sind Haie keine Fische, da der Begriff Fisch keine taxonomische Einheit ist.

Haie sind zu Deutsch Knorpelfische.

Und diese sind eine der 7 Wirbeltierklassen, zu denen auch die Knochenfische gehören.

Diese beiden Gruppen unterscheiden sich in wesentlichen Merkmalen ihrer Biologie, können aber beide als aquatische, fischartige und kiementragende Wirbeltiere bezeichnet werden.

Auch hier gilt: Wenn Erich Ritter gute biologische Argumente hat, soll er eine neue taxonomische Einteilung und Bezeichnung für die Knorpelfische vorschlagen.

Es gibt Zoologen, die beschäftigen sich ausschliesslich mit solchen Fragen und könnten ihm hier sicher weiterhelfen falls gewünscht.

Jürg Brunnschweiler über Haie in Aquarien und Zootierhaltung allgemein

Haiwelt:

Kürzlich gingen die Nachrichten über den Weißen Hai (Carcharodon carcharias) im Monterey Bay Aquarium um die Welt.

Sein Gesundheitszustand verschlimmerte sich immer mehr und schließlich wurde der Hai wieder in die Freiheit entlassen.

Die Offiziellen des Aquariums planen aber bereits einen neuen Hai zu fangen [Quellen leider mittlerweile offline], denn sie sind der Meinung durch das kürzlich freigelassene Weibchen eine Menge über die Weißen Haie und vor allem deren Haltung in Gefangenschaft gelernt zu haben.

Wie stehst Du aus wissenschaftlicher Sicht dazu? Kann man an einem gefangenen Weißen Hai wirklich so viel wertvolles über dessen Biologie lernen und erforschen, was sich auch auf frei lebende Tiere übertragen lässt oder ist die Aussagekraft solcher Ergebnisse nicht eher stark beschränkt?

Jürg Brunnschweiler:

Erstmal ist es gut, dass das Tier freigelassen wurde.

Ich stehe der Aquarienhaltung von Haien kritisch gegenüber.

Einerseits ist es tatsächlich so, dass anhand gefangener Tiere wertvolle Informationen zur Biologie gewonnen werden können. Und mit der Präsentation eines lebendigen Hais kann in der Öffentlichkeit auch einiges erreicht werden.

Andererseits stellt sich auch hier die Frage der Verhältnismässigkeit: Wird das Tier in erster Linie für kommerzielle und mediale Zwecke gefangen und ausgestellt oder steht der biologische Erkenntnisgewinn im Vordergrund.

Und dann kommt es auch sehr darauf an, um welche Arten es sich handelt.

Der Weiße Hai scheint mir für das Argument der Sammlung wissenschaftlicher Daten ungeeignet. Für die mediale Aufmerksamkeit hingegen ist er das Objekt der unbedingten Wahl!

Was ich sehr kritisch hinterfrage ist der Neubau von Aquarien, wie ihn bspw. auch SP mittlerweile unterstützt. Es gibt auf der ganzen Welt genug Aquarien, die Haie ausstellen und erforschen. Weshalb noch mehr Tiere fangen (und einige davon zwingendermassen zu „opfern“)?

Das ist übrigens auch meine generelle Meinung zur Zootierhaltung. Wir haben heute die Mittel und Möglichkeiten, die verschiedensten Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten.

Bestehende Einrichtungen müssen deshalb nicht ihre Tore schliessen, aber Ausbauen und die Nachfrage steigern sollte man nicht.

Es gibt heute auch schöne und gute Filme, die zur Sensibilisierung beitragen können.

Haiwelt:

Das die bestehenden Tierparks zwar nicht schließen, aber auch nicht mehr ausbauen sollten, sehen die betreffenden Geschäftsführer bestimmt anders…

Ist der sogenannte „Öko-Tourismus“ den Du da andeutest nicht auch eine Gefahr für die Tiere? Ich denke da z. B. an „Whale-Watching“…

Jürg Brunnschweiler:

Hier stellt sich natürlich auch die Frage nach der Nachhaltigkeit des sogenannten Ökotourismus. Ein Modewort, denn Tourismus ist grundsätzlich nie ökologisch.

Allerdings muss man auch hier differenzieren.

Gerade mit Haien wird heute ja enormes Geld verdient. Taucher bezahlen für die Möglichkeit bspw. einem Weißen Hai zu begegnen. Das mit Garantie und im Käfig.

Jeder hat hier seine eigenen Vorlieben und soll tun und lassen, was er/sie für richtig hält.

Nur ein Punkt ist mir wichtig: Gerade die Promotoren solcher Abenteuerreisen fragen nicht nach den Konsequenzen für das Tier.

Diese sind zugegebenermassen schwer abzuschätzen.

Mit Sicherheit kann aber gesagt werden, dass Zustände, wie sie bspw. in Südafrika herrschen, einen Einfluss auf die Tiere haben. Und dieser Einfluss ist in den seltensten Fällen positiv.

Mich erinnert das immer an den Spruch „nach uns die Sintflut“.

Etwas drastisch ausgedrück zwar, aber wohl nicht ganz unwahr…

Andererseits gibt es natürlich auch positive Aspekte von Haireisen. Auch bei dieser Frage gibt es hoffentlich ein gesundes Mittelmaß.

Aber: Am meisten „geholfen“ ist dem Hai, wenn man ihn in Ruhe lässt.

Das gilt für Fischer, Taucher und den Menschen grundsätzlich.

Letztendlich ist er eine Ressource, die von verschiedenen Seiten genutzt wird. Der Fischer fischt, der Taucher taucht, der Fotograf fotografiert und der Hai, was macht der?

Der sucht sich wohl irgendwo ein stilles Plätzchen, wo er in Ruhe fressen und sich vom anthropogenen Stress erholen kann.

Nur gibt es die schon fast nicht mehr.

Haiwelt:

Wie siehst Du die Problematik, dass der Hai ja von den Pflegern in dem Aquarium gefüttert wurde, er also immer (auch jetzt in freier Natur) noch Menschen mit Futter assoziieren könnte? Eine potentielle Gefahr für Taucher, Schnorchler und Badende?

Jürg Brunnschweiler:

Ich sehe da absolut kein Problem. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Haie Menschen mit Futter assoziieren, wenn sie von diesen gefüttert werden.

Um solche Aussagen machen zu können, müssen wir zuerst die kognitiven Fähigkeiten des Tiers Hai besser verstehen.

Jürg Brunnschweiler darüber, ob Haie noch zu retten sind

Haiwelt:

Es erscheinen immer wieder aktuelle Forschungsergebnisse und Gutachten zu der bedeutenden Rolle der Haie im Ökosystem Meer. Schon vor Jahren hieß es, es wäre in Sachen Hai-Schutz fünf Minuten vor Zwölf (siehe Interview mit Harald Gay von 2003).

Haben wir heute, Jahre danach, überhaupt noch eine Chance die Haie vor dem Aussterben zu retten und dadurch eine globale Katastrophe abzuwenden, deren letzte Konsequenzen wir gar nicht abschätzen können?

Jürg Brunnschweiler:

Fünf Minuten vor Zwölf oder jede diesbezügliche Aussage ist plakativ. Niemand kennt die Uhr der Natur resp. deren Zeitrechnung.

Aber richtig, es sieht schlecht aus für die Zukunft der Haie.

Allerdings nicht nur für deren.

Ich kann nicht beurteilen, ob die Haie gerettet werden können oder nicht. Eine Chance hat man aber immer.

Es ist möglich, dass einige Haiarten in den nächsten 10-20 Jahren ausgerottet werden. Das wären wohl die großen, charismatischen Arten wie der Weiße Hai.

Dasselbe Schicksal wird die Amur-Tiger, den Pandabären und viele weitere, uns liebe Arten ereilen.

Damit globale Katastrophen zu prophezeien, halte ich für falsch.

Die Evolution ist nichts statisches, Tier- und Pflanzenarten kommen und gehen. Es werden ja bspw. auch neue Haiarten beschrieben. Und alle 500 Arten werden wir wohl nicht ausrotten.

Nein, ernsthaft: Das wir gewisse Tierarten ausrotten ist Tatsache. Dazu werden auch bestimmte Haiarten gehören.

Die wirkliche Katastrophe ist eine andere: Es ist schön und gut, wenn man sich für den Schutz der Haie einsetzt. Es ist super, wenn man den Weißen Hai und viele andere Arten in allen Ländern dieser Welt schützt.

Aber all das bringt nichts, wenn wir die Lebensräume dieser Tiere zerstören.

Und das tun wir alle zusammen fleissig!

Dabei geht es heute im Umweltschutz. Nicht einzelne Arten zu schützen, sondern Ökosysteme.

Jedem, der am Schutz der Haie interessiert ist kann ich nur sagen: Hört auf Meerfisch und Krustentiere zu essen, fahrt weniger oder gar kein Auto mehr (Stichwort Klimaerwärmung, die auch die Haie via Veränderung der Ökosystme knallhart trifft!) oder esst kein Junk-Food.

Jeder nach seinen Möglichkeiten.

Aber wir werden nicht umhin kommen, unsere Konsum- und Lebensgewohnheiten zu ändern.

Jede andere Behauptung ist scheinheilig.

Haiwelt:

Kannst Du vielleicht kurz ganz besondere Erfolge in Sachen Hai-Schutz der letzten paar Jahre nennen?

Und was motiviert Dich persönlich immer weiter zu machen und nicht aufzugeben für die Haie zu kämpfen?

Jürg Brunnschweiler:

Auf globaler Ebene gibt es einige Erfolge zu vermelden. An erster Stelle sicherlich, die Sensibilisierung der Öffentlichkeit durch zahlreiche Fachpublikationen (wie bspw. die von Dir weiter oben angesprochene), welche die Fakten für die ernste Lage der Haie und Rochen lieferten.

Solche Publikationen fliessen als Wissensgrundlage auch vermehrt in die politische Entscheidungsfindung mit ein.

Daneben erachte ich auch die Arbeit von vielen Organisationen wie bspw. TRAFFIC oder der FAO als sehr wertvoll für den Haischutz. Die Tatsache, dass 3 Haiarten auf dem CITES-Appendix II stehen ist ein hoffnungsvoller Anfang [Anmerkung: Ende 2023 sind es 6].

Auf persönlicher Ebene war für mich die Realisierung der Haischutzzone auf Fidschi eine grosse Befriedigung. Es hat sich gezeigt, dass die harte Arbeit vieler Leute aus unterschiedlichen Gebieten etwas sehr Positives bewirken kann. Für mich hat sich einmal mehr die Wahrheit bestätigt, wonach man lokal handeln und global denken soll.

Persönlich motiviert mich immer wieder die Biologie als Ganzes. Es ist eine faszinierende Wissenschaft, von der ich nie genug kriegen kann.

Die Haie sehe ich als Ausdruck der Vielfalt der Natur.

Die Fragen nach ihrem Funktionieren treiben mich immer wieder an.

Und falls ich jemals eine Motivationsspritze brauche, werde ich zwei Wochen mit einem Segelboot auf dem Meer kreuzen und der Natur zuschauen.

Das hilft garantiert!

Haiwelt:

Zum Abschluss eine Frage zur aktuellen Literatur: Im Februar 2005 wurde von dem „Hai-Guru“ überhaupt, Leonard Compagno, ein neues Buch mit dem Titel „Sharks of the World“ (Collins Field Guide) (Online-Bestellung und Rezension hier) veröffentlicht. Was hältst Du von dem neuen Werk?

Jürg Brunnschweiler:

Ich bin mir nicht sicher, ob Leonard Compagno diesen Titel schätzen würde!

Spaß beiseite: Ein sehr schönes Buch, vor allem auch wegen der Illustrationen von Marc Dando. Die „Macher“ sind alles sehr kompetente Leute auf ihrem Gebiet. Das gilt auch für den Schreiber des Vorwortes.

Sie alle tragen dazu bei, dass die Schönheit und Vielfalt der Haie uns immer wieder von neuem fasziniert.

Haiwelt:

Ich bedanke mich herzlich für das Interview, Jürg! Bleib den Haien treu!

Jürg Brunnschweiler:

Das werde ich! Und ich danke Dir und wünsche viel Erfolg mit Deiner Hai-Site!