Vom 24.02.2002
Silvio Heidler ist eigentlich Polizei-Beamter. Was hat er mit Haien zu tun? Und wie ist er dazu gekommen?
In seinem 1. Interview mit Haiwelt spricht er darüber, wie er überhaupt zu den Haien gekommen ist und welche Berührungspunkte er zum wissenschaftlichen Hai-Tagging hat.
Silvio Heidler dazu, wie er auf Haie gekommen ist
Haiwelt:
Silvio, Du bist eigentlich Polizei-Beamter von Beruf. Was hat ein Beamter mit Haien zu tun?
Silvio Heidler:
Ich hatte dieses interessante Hobby lange bevor ich in den Staatsdienst eingestiegen bin.
Seit meiner Jugend haben mich Haie fasziniert.
Was mit einem Film – dem Film – „Der Weiße Hai“ begann, ist heute zu einer großen Sammlung mit Medienarchiv, Fotoarchiv, Exponatensammlung und eigener Haibar angewachsen.
Ganz kurz noch einen Satz zum Schlüsselerlebnis.
Im Jahre 1985 ca. Juni wurde der Film „Der Weiße Hai“ erstmalig im Fernsehen gezeigt. Wie jeder weiß, ein bewegender Film.
Was bei mir erschwerend hinzu kam, war eine geplante Urlaubsreise 4 Wochen später, natürlich ans Meer.
Mit dem Riesenfisch im Hinterkopf war mir gar nicht danach schwimmen zu gehen.
Aus diesem Grund zog ich los, um mehr über diese Tiere zu erfahren. Trotz der kurzfristig erlangten Erkenntnis, dass es in der Ostsee keine Haie gibt [Anmerkung von Haiwelt: In der Ost-, wie auch der Nordsee gibt es sehr wohl Haie. Mehr dazu unter „Nord-/Ostsee“], bin ich nie tiefer als Halshöhe ins Wasser.
Der Film hatte seine Wirkung nicht verfehlt.
Nach diesem Urlaub begann ich dann intensiv mit dem Studium der Haie.
Mittlerweile gibt es fast täglich Anfragen, in denen ich heute anderen Leuten Informationen zum Thema Hai liefern kann.
Haiwelt:
Warum setzt Du Dich so für die Haie ein? Was bezweckst Du mit Deiner Arbeit?
Silvio Heidler:
Haie sind ein Geschöpf wie jedes andere Lebewesen auch.
Der Mensch denkt immer, er stünde über den Dingen.
Wir dringen zunehmend in die Lebensräume der Tiere ein und wundern uns, wenn es zu Angriffen kommt. Jeder Hai versucht nur in seinem jeweiligen Gebiet zu überleben und dies seit über 300 Millionen Jahren.
Wenn er dabei auf Menschen stößt, wie etwa Taucher oder Surfer, die dort eigentlich gar nicht hin gehören, kann doch der Hai nichts dafür. Er frisst Beute in seinem Habitat und wenn wir dort eindringen sind wir Beute, so einfach ist das.
Weltweit sterben jedes Jahr mehr Menschen an Bienenstichen oder durch Elefanten.
Na und?
Keiner kommt auf die Idee, die Bienen auszurotten oder Bienenflügelsuppe zu machen.
Bei Haien ist das anders.
Seit Menschengedenken ist der Hai der Todfeind der Menschen.
Gerade bei Seeleuten kann man heute noch beobachten, wie zufällig gefangene Haie an Bord brutal getötet werden und keiner weiß eigentlich warum.
Das war schon immer so…
Die weltweite Überfischung entzieht zum einen dem Hai die Nahrung, zum anderen ist der Hai selbst Beute des Menschen. Jährlich werden Millionen von Haien getötet, obwohl bewiesen ist, das viel weniger Tiere reproduziert werden.
Zwangsläufig muss hier etwas dagegen getan werden.
Ich versuche durch meine Vorträge besonders Kinder und Jugendliche zu erreichen. Hier sehe ich persönlich die Zukunft des Haischutzes. Ich versuche den Kindern klar und objektiv die Rolle des Hais im Tierreich zu erklären.
Gleichzeitig gehe ich auf die Problematik „Angriffe auf Menschen“ ein.
Hauptanliegen bei meinen Veranstaltungen ist der Versuch den Hai als Lebewesen rüber zu bringen, der irgendwie greifbar ist.
Was ich damit sagen will: Nur ein Tier, was ich kenne, bin ich bereit zu achten und zu schützen!
Silvio Heidler über Hai-Tagging
Haiwelt:
Mittlerweile warst Du auch schon einige Male unterwegs zum „Hai-Tagging“, also um Haie zu markieren. Wie bist Du dazu gekommen?
Silvio Heidler:
Wer mit Haien zu tun hat, wird schnell merken: In Deutschland steckt die Forschung und Informationsgewinnung noch in den Kinderschuhen.
Nach und nach entstehen Gesellschaften wie die D.E.G – Deutsche Elasmobranchier Gesellschaft, die sich für den Schutz der Haie einsetzen und Aufklärung zum Schutz dieser Tiere betreiben.
Als ich auf der Suche nach Info-Quellen war, gab es diese Gesellschaft noch nicht, also wendete ich mich an die USA, wo seit Jahren intensiv mit Haien geforscht wird.
Dort gibt es auch eine amerikanische Gesellschaft zum Schutz der Haie, analog zu der deutschen. In dieser Gesellschaft gibt es seit Jahren ein Taggingprogramm. Hier wurden grundlegende Erkenntnisse über Wanderwege, Routen und Verhalten der Haie erlangt.
Da ich meinen Teil zur Erforschung der Haie beitragen wollte, nahm ich Kontakt mit den amerikanischen „Hai-Kollegen“ auf und orderte Material zur Hai-Markierung.
Ausgerüstet mit technischem Know-How und voller Tatendrang ging es nun an die Atlantikküste, genauer nach Portugal. Es ist seit langem bekannt, dass dort Haie leben und durch Sportangler regelmäßig gefangen werden. Diesen wollte ich mich anschließen um gefangene Hai zu erfassen, sie zu markieren und wieder frei zu lassen.
So fuhr ich 1995 erstmalig zu einer Taggingtour.
Haiwelt:
Wie genau läuft das Tagging ab?
Silvio Heidler:
Nun, man muss sich auf einer der vielen Hochseejachten einchecken. Dieser Spaß ist in der Regel ordentlich teuer.
Dann muss man dem Kapitän, der Crew und dem Angler – der in aller Regel seine Beute mitnehmen will und als Urlaubstrophäe an die Wand hängen möchte – begreiflich machen, dass die gefangenen Haie möglichst schonend eingeholt werden, superschnell erfasst und markiert werden und dann sofort wieder sanft ins Wasser zurückgesetzt werden müssen.
Eigentlich ganz einfach.
Ein Umstand erleichtert so ein Vorhaben dennoch.
In den Gewässern Portugals werden zu 90% nur junge Blauhaie gefangen. Hier sind die Kinderstuben dieser Haiart.
Das bedeutet, es werden fast nur kleine Blauhaie gefangen.
Die sind erstens zu klein für eine wirtschaftliche Verwertung und zweitens ist das Fleisch kaum genießbar. Daher werden diese Haie durch die Bootsbesatzungen meistens eh wieder frei gelassen.
Die Frage ist nur wie.
Und wenn ein Touri seinen fetten Fisch mitnehmen will… der Kunde ist König.
Anders sieht es bei großen anderen Haien aus.
Makohaie oder Fuchshai sind beliebte Speisefische und der Kapitän kann damit seine Charter aufbessern. Bei diesen Haien braucht man gar nicht fragen.
Ich hatte in soweit Glück, dass bei den Ausfahrten, bei denen ich mit Ausrüstung an Bord war, nur Blauhaie gefangen wurden. Schlecht für die Crew und die Touristen, gut für mich und noch besser für die Haie.
Wenn also der Idealfall eintritt, dass ein junger Blauhai anbeisst, wird dieser so schonend wie möglich, also nicht mit ultradünner Leine einhundert mal eingeholt und wieder freigelassen, sondern gleich mit starker Schnur zum Boot geführt.
Abhängig von Bootstyp bzw. Ausrüstung wird der Hai nun entweder ins Boot gehoben oder längsseits neben das Boot geführt. Der Hai wird schnell vermessen und das Geschlecht wird bestimmt. Zusätzlich werden Uhrzeit, Fangort, Boot, Angler usw. gesondert vermerkt.
Dann kommt das eigentliche taggen.
Dazu wurde bereits im Vorfeld ein Taggingpin vorbereitet und auf die Stahlspitze aufgesetzt. Diese Spitze wird nun ganz vorsichtig neben der Rückenflosse des Hais – hier ist die Haut besonders dick und fest – eingestochen.
Der Pin sitzt dann kurz unter der Haut und schadet dem Hai nicht.
Dieser Pin ist weithin sichtbar und, sollte der Hai wieder gefangen werden, sofort erkennbar.
Jeder Taggingpin hat eine Nummer. Zusätzlich befindet sich in einem kleinen Röhrchen ebenfalls eine kleine Karte, wo die Daten eingetragen werden, wenn der Hai irgendwo auf der Welt wieder gefangen wird.
Die Karte mit den Fangdaten vom 1. Fang, also dem Fang, wo der Hai markiert wurde, wird an das Institut gesendet, welches das Taggingprogramm organisiert.
Dort wird der Vorgang unter der Nummer registriert.
Sollte dann irgendwo der Hai wieder gefangen werden und man findet den Taggingpin, sollte dieser ebenfalls an das Institut gesendet werden.
Erst dann können Daten abgeglichen werden und es lassen sich Rückschlüsse auf Wanderweg, Größenwachstum, Alter usw. ableiten.
Silvio Heidler über die wissenschaftliche Auswertung des Hai-Taggings
Haiwelt:
Welche wissenschaftlichen Schlüsse lassen sich aus solchen Markierungen ziehen? Bist Du auch für die Auswertung zuständig?
Silvio Heidler:
Leider werden gesammelte Daten vorerst nur in den USA erfasst.
Derzeit laufen Bemühungen bei der D.E.G. und den europäischen Partnergesellschaften ein eigenes Taggingprogramm ins Leben zu rufen.
Die Vorbereitungsarbeiten dazu laufen noch. Dann ist es eventuell möglich auch hier in Deutschland Daten zu erfassen und auszuwerten.
Zu den Ergebnissen der amerikanischen Kollegen gibt es jährlich eine spezielle Broschüre: „The Shark Tagger“. Darin sind die jährlich markierten Haie nach Arten erfasst, die Wiederfänge, die Wanderentfernung, die Zeit in Freiheit, die Angelmethode und es gibt spezielle Auswertungen der Wanderrouten.
Hier einige Schlagzeilen der Jahre 1990 bis 1996:
1990 – Rekordzeit eine Sandbankhais in Freiheit 25 Jahre; ein Tigerhai 8 Jahre; weiteste Wanderung eine Sandbankhais 2.039 Meilen; Hammerhai 402 Meilen und ein Bullenhai 231 Meilen
1991 – markierter Tigerhai schwimmt von USA bis Dominikanische Republik und Grenada
1992 – einhundertausendster Hai markiert; Sandbankhai nach 24,9 Jahren wiedergefangen; Rekordwanderung eines Bignose Sharks von New Jersey bis Texas 1.800 Meilen
1993 – Zeit in Freiheit Makohai 9 Jahre, Tigerhai 11 Jahre, Düsterer Hai 16 Jahre; Satellitenpeilsender für Blauhaie
1994 – Auswertung der Satellitenüberwachung; Erarbeitung eines Managmentplans für den Haifang in den USA; Studie über Haiparasiten
1995 – Genetische Studien an Haien; Rekordzahl an Makohaimarkierungen
1996 – Auswertung der Langleinenfangstationen, Rekordzahl an Wiederfängen bei Blauhaien und Sandbankhaien; Schwerpunktthema Heringshaie
Haiwelt:
Ist das Tagging sehr gefährlich? Welche Vorsichtsmaßnahmen werden getroffen?
Silvio Heidler:
Tagging ist in der Regel nicht sehr gefährlich.
Natürlich muss man sich an bestimmte Regeln halten.
Das beginnt mit dem Verhalten auf dem Schiff, hier sollte man unbedingt den Anweisungen des Personals folge leisten.
Weiterhin versteht sich von selbst, das Alkohol absolut tabu ist.
Auch die Sonne bzw. Hitzschlag sollte man nicht außer Acht lassen.
Beim reinen Tagging sollten Unbeteiligte genügend Abstand halten. Die Haie sind auch nach langem Drill sehr wendig und kraftvoll. Sollten die Haie ins Boot geholt werden, kann das zu einem Hexentanz werden.
Nicht nur das Gebiss ist dabei gefährlich, vielmehr der kräftige Schwanz stellt eine große Verletzungsgefahr dar. Die Leute, die den Hai festhalten bzw. markieren sollten kräftige Lederhandschuhe und lange Kleidung tragen. Die raue Haut kann ungeschütze Stellen am Körper sehr schnell verletzen.
Auch die Stahlspitze und der Taggingpin stellen eine hohe Verletzungsgefahr dar, daher auch der Sicherheitsabstand für Unbeteiligte.
Dass man bei einer Haiangeltour nicht neben dem Boot baden geht, muß man eigentlich nicht erwähnen…
Haiwelt:
Beim Tagging „lernt“ man doch einige Haie sozusagen charakterlich „kennen“.
Gibt es dabei Arten mit denen Du sehr gerne bzw. andere mit denen Du nur ungern arbeitest?
Silvio Heidler:
Ich hatte ja leider im Rahmen von Markierungsarbeiten nur Erfahrung mit Blauhaien.
Diese Haiart zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Farbe aus. Bereits von weitem kann man dieses herrliche Blau im Wasser sehen. Diese Farbe verblasst aber sehr schnell, wenn der Hai aus dem Wasser genommen wird bzw. tot ist.
Blauhaie werden von Hochseeanglern weniger geschätzt, weil sie keine spektakuläre Gegenwehr liefern.
Anders sieht es da mit Makohaien aus, bei denen 10 m Sprünge aus dem Wasser belegt sind.
Leider kommen die Makos in europäischen Gewässern nicht in den Genuß einer Markierung, sie landen im Kochtopf.
Bei Dornhaien, die ich leider nur tot erleben durfte (Tiefseeart), muss man vor den Dornen höllisch aufpassen. Nicht wenige Fischer sind hier schon zum Teil lebensgefährlich verletzt worden.
Silvio Heidler über unvergessliche Erlebnisse
Haiwelt:
Gab es ein Ereignis bei Deiner Arbeit mit Haien, dass Dir nicht mehr aus dem Kopf geht?
Silvio Heidler:
Mein Hauptbetätigungsfeld sind die Aquarienhaie. Hier ist es immer wieder schmerzlich vom Tod eines oder mehrerer Tiere zu hören.
Mein Anliegen ist es daher seit Jahren, den Kontakt zwischen den einzelnen Haipflegern, auch privaten Aquarianern, herzustellen um so bei Krankheiten oder Problemen schnell helfen zu können.
Nichts finde ich schlimmer, als wenn mehrere Haie an derselben Krankheit oder an dem selben Problem sterben müssen, obwohl es eine Lösung gibt.
Nicht selten konnte ich verschiedenen Leuten weiterhelfen und mittlerweile bitten mich Zoos um Rat, bevor sie neue Haie in ihren Bestand integrieren.
Eine steigende Anzahl von Nachfragen bestätigt die Notwendigkeit einer solchen Datenerfassung.
Haiwelt:
Abschließend noch eine Frage: Wie siehst Du die Zukunft der Haie?
Silvio Heidler:
Weltweit werden derzeit viele Projekte zum Schutz der Haie ins Leben gerufen. Das zeigt das geänderte Bewusstsein der Menschen überall auf der Welt.
Man merkt das auch an Fernsehreportagen. Es wird nicht mehr der Killer gezeigt, man versucht die Haie so natürlich wie möglich darzustellen.
Ich denke jeder kann auf seine Weise einen Beitrag leisten.
Das kann sehr unterschiedlicher Natur sein. Bei dem einen reicht schon der Besuch in einem Aquarium, damit er anschließend weiß, was überhaupt ein Hai ist.
Ein anderer entschließt sich, kein Haifleisch mehr zu essen. Das ist sehr gut, nur werden sich nie alle Menschen daran halten. Hier muss schrittweise vorgegangen werden. Seit Jahrhunderten essen Menschen Meerestiere, auch Haie. Ein Umdenken braucht Zeit.
Wieder ein anderer, z. B. ein Meeresangler möchte weiterhin Haie angeln, nur entschließt er sich jetzt, die Tiere zu markieren und anschließend frei zu lassen und nicht sinnlos zu erschlagen. Auch das ist ein Beitrag zum Schutz der Haie.
Wie schon gesagt, jeder kann auf seine Weise einen Beitrag leisten man muss nur wissen, worum es geht und man muss es wollen.
Haiwelt:
Vielen Dank für das nette Interview Silvio!